Weihnachten 25.12.2013 – Predigt über Galater 4, 4-7 in der Lutherkirche zu Speldorf

Liebe Gemeinde,

am 25. Dezember 1772 – also heute genau vor 241 Jahren – hielt sich Johann Wolfgang von Goethe in Frankfurt auf. Er schreibt an seinen Freund Johann Christian Kestern – der vielleicht einigen heute noch als Lottes Ehemann in den Leiden des jungen Werther bekannt ist:

Christtag früh. Es ist noch Nacht, lieber Kestner, ich bin aufgestanden, um bei Lichte morgens wieder zu schreiben, das mir angenehme Erinnerungen voriger Zeiten zurückruft; ich habe mir Kaffee machen lassen, den Festtag zu ehren, und will euch schreiben, bis es Tag ist. Der Türmer hat sein Lied schon geblasen, ich wachte darüber auf. Gelobet seist du, Jesus Christ! Ich habe diese Zeit des Jahres gar lieb, die Lieder, die man singt, und die Kälte, die eingefallen ist, macht mich vollends vergnügt. Ich habe gestern einen herrlichen Tag gehabt, ich fürchtete für den heutigen, aber der ist auch gut begonnen, und da ist mir’s fürs Enden nicht angst.

Weihnachten ist eine besondere Zeit. Wir haben die letzten Wochen auf die Weihnachtstage hin gelebt. Kindheitserinnungen kommen hoch. Wer Kinder hat, führt sie in die Weihnachtsbräuche ein, jede Familie hat ihre eigene Tradition, wie sie Weihnachten feiert. Denn für Kinder ist Weihnachten beides zugleich: eine ganz besondere, heilige Geschichte und ein sehr konkretes, irdisches Geschehen.

Ich selbst kann die Weihnachtsgeschichte auswendig, seit ich in einem Krippenspiel einmal den Erzähler gespielt habe: „Es begab sich aber, das ein Gebot ausging …..- so wie wir es auch in der Evangeliumslesung hörten.

Die Weihnachtsgeschichte, so wie ich mich an sie erinnere, erzählt sehr plastisch ein sehr menschliches Geschehen. Diese Geschichte lädt geradezu ein, sie auszumalen, so wie es über die Zeit geschehen ist: Ochse und Esel gesellten sich hinzu an die Weihnachtskrippen. Auf der anderen Seite: die für uns alte und doch wortmächtige Sprache Martin Luthers lässt für uns deutlich werden, dass uns ein heiliges Geschehen berichtet wird. Göttliches und Menschliches kommen im Weihnachtsgeschehen zusammen.

Wie würden wir die Weihnachtsgeschichte heute erzählen?

  • Weihnachten ist Warten auf ein Wunder – so hörte ich es auf einer Weihnachtsfeier

  • Weihnachten ist, wenn es kalt ist und man jemand seine Jacke gibt – so sagte ein Grundschulkind im Religionsunterreicht, als die Klasse über Weihnachten sprach.

Was würden Sie erzählen, wenn jemand Sie fragt, was Weihnachten bedeutet.

Sie wissen, ich kümmere mich um die Social Media-Angebote der rheinischen Kirche. Um auf Twitter etwas zu veröffentlichen, muss man es auf SMS-Länge, also 140 Zeichen kürzen.

Vor vier Jahren wurde die Twitter-Bibel veröffentlicht, die ganze Bibel wurde in rund 3200 Abschnitte gegliedert und jeder Abschnitt konnte dann im Internet auf 140 Zeichen verdichtet werden. Es war ganz interessant zu sehen, wie Bischöffe auf dem Kirchentag versuchten, die biblische Botschaft auf 140 Zeichen zusammenzufassen. Manchmal wird durch diese Zusammenfassung die Aussage nochmals deutlicher. Manchmal ist es einfach nur eine Zusammenfassung.

So heißt die Weihnachtsgeschichte des Lukas in der Twitterbibel:

Inmitten der Weltgeschichte geht der Fokus auf ein einfaches Ehepaar aus Galiläa, die Eltern werden in einem Stall in Bethlehem.

Engel erzählt:Christus,der Heiland ist geboren. Hirten eilen zur Krippe, finden alles wahr! Verbreiten Botschaft, preisen Gott.Maria glaubt.

Paulus kannte natürlich noch kein Twitter, aber auch er hat die Weihnachtsgeschichte sehr verdichtet. Diese Verdichtung ist unser heutiger Predigttext:

Paulus braucht genau 61 Wörter, 348 Zeichen um das Weihnachtsgeschehen auszudrücken.

ὅτε δὲ ἦλθεν τὸ πλήρωμα τοῦ χρόνου, ἐξαπέστειλεν ὁ θεὸς τὸν υἱὸν αὐτοῦ, γενόμενον ἐκ γυναικός, γενόμενον ὑπὸ νόμον,

ἵνα τοὺς ὑπὸ νόμον ἐξαγοράσῃ, ἵνα τὴν υἱοθεσίαν ἀπολάβωμεν.

Ὅτι δέ ἐστε υἱοί, ἐξαπέστειλεν ὁ θεὸς τὸ πνεῦμα τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ εἰς τὰς καρδίας ἡμῶν κρᾶζον, Αββα ὁ πατήρ.

ὥστε οὐκέτι εἶ δοῦλος ἀλλὰ υἱός· εἰ δὲ υἱός, καὶ κληρονόμος διὰ θεοῦ.

4 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan,

5 damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.

6 Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater!

7 So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.

Soweit unser Predigttext und die Weihnachtsgeschichte des Paulus.

Paulus geht es nicht um die Einzelheiten des Weihnachtsgeschehens, sondern darum, was Weihnachten für uns Menschen bedeutet. Diese Weihnachtsgeschichte, die wir eben hörten, gliedert sich in zwei Gedankengänge:

Gott wurde Mensch.

Und: Wir werden deswegen Gottes Kinder.

Gott wurde Mensch: nach 2000 Jahren einerseits ein Gedanke, der als bekannt vorausgesetzt werden kann. Jedes Jahr hören wir zu Weihnachten Predigten dazu, so dass es keine Worte mehr gibt, die dieses Ereignis so beschreiben können, dass wir wieder hinhören.

Andererseits ein Gedanke, der so tief ist, dass Worte dies nur annähernd beschreiben können, wir stoßen an die Grenzen von Sprache überhaupt.

Paulus fasst diesen Gedankengang in eine ihm eigene theologische Begrifflichkeit, bis heute diskutieren Theologen darüber, was genau er meinte.

Da aber die Zeit erfüllt ward, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weib und unter das Gesetz getan, auf dass er die, so unter dem Gesetz waren, erlöste, dass wir die Kindschaft empfingen.

Da aber die Zeit erfüllt ward: Die Menschheitsgeschichte erhält Ihre Erfüllung in der Menschwerdung Gottes;

geboren von einem Weib: Gott wird Mensch ganz und gar, geboren von einer Frau, so wie wir alle hier;

unter das Gesetz getan: d.h. er hat die selben Existenzbedingungen wie jeder andre Mensch auch.

Darüber ließen sich stundenlange Vorlesungen halten, letztendlich würden wir es aber immer noch nicht verstehen, was es heißt: Gott wird Mensch.

Weihnachten ist nämlich immer beides zugleich: göttlich und menschlich. Der Grund alles Weihnachtsgeschehens lässt sich in drei Worte zusammenfassen, der Evangelist Johannes ist noch etwas knapper als der Apostel Paulus: Gott wird Mensch – oder wie es im Johannes-Evangelium (1,14) heißt: Das Wort ward Fleisch

Der englisch-österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein schreibt am Ende des tractatus logico-philosophicus – einer Abhandlung, die das gesamte Universum hinreichend erklären soll: “Worüber man nicht reden kann, darüber soll man schweigen.”

Die Geburt Jesu – die Menschwerdung Gottes ist ein Ereignis, das dem gesamten Universum einen anderen Lauf gibt. Worte reichen nicht aus, dies auch nur annähernd zu beschreiben.

Die Folge der Menschwerdung Gottes: Wir sind Gottes Kinder.

Weil ihr denn Kinder seid, hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen, der schreit: Abba, lieber Vater! Also ist nun hier kein Knecht mehr, sondern eitel Kinder; sind’s aber Kinder, so sind’s auch Erben Gottes durch Christus.

Wir sind Kinder Gottes geworden. Paulus bemüht das Bild der Adoption. In den Haushalten seiner Zeit wurde zwischen Kindern und Hausangestellten unterschieden. Wer Kind war, hatte alle Rechte und die selbe Stellung wie der Hausherr der Familie. Wer nicht als Kind geboren wurde, konnte aber nur durch Adoption Kind werden.

Freunde von uns haben ein Kind adoptiert, es war ein langer und beschwerlicher Weg, bis sie endlich ihr Kind in die Arme nehmen konnten. Ein Kind zu adoptieren ist auch ein Wagnis, das erst dann so richtig deutlich wird, wenn das Kind endlich da ist, wenn die Sorge beginnt, ob es sich eingewöhnen wird in der Familie, die nicht seine leibliche ist, ob es wirklich eines Tages dazugehören wird.

Von solchen Sorgen ist die Weihnachtsfreude frei: Gott adoptiert die Menschen so, wie es die Alte Welt nur Kaisern und Pharaonen zubilligte, dass sie von einer Gottheit adoptiert worden seien. Nur den höchsten Herrschen wurde eine derart unglaubliche Auszeichnung zuteil: Als Sohn Gottes adoptiert zu werden und sich Sohn Gottes nennen zu dürfen.

Für normale Menschen wäre es völlig absurd gewesen, Auszeichnungen dieser Art für sich zu beanspruchen. Seit und mit Christi Geburt aber ist der Gedanke in der Welt, dass alle Menschen Kinder Gottes sind … und Erben seines Reiches.

Wir alle sind Adoptivkinder Gottes! Wir sind an Kindes Statt angenommen. Gott hat uns seinen Geist gegeben, er hat uns mit seinen Worten angesprochen, er lädt uns an seinen Tisch ein, immer wieder, wir sind Kinder mit gleichen Rechten, sogar mit Erbrecht.

Auch wenn uns Gott manchmal fern und fremd erscheint, den Eindruck erweckt, als würde er uns stiefväterlich oder -mütterlich behandeln. Der Glaube, wir dürften uns alle Kinder Gottes nennen, dieser Gedanke ist ein für allemal in der Welt seit Christi Geburt.

Das sind märchenhafte Worte und Vorstellungen, so als würden wir von Aschenputtel erzählen, die Schwiegertochter des Königs wurde, oder was es noch für Märchen gibt.

Und es ist tatsächlich mindestens so schön wie im Märchen, in dem jeder einzelne sich als Königskind und Gotteskind fühlen darf.

Aber zugleich ist die Weihnachtsgeschichte viel mehr als ein Märchen, denn sie ist ganz wirklich, auch heute: Wir sind alle Kinder und Erben Gottes, – aber nicht, weil Gott tot wäre, und nun sein Testament eröffnet würde, auch nicht, weil Gott sein Ende nahen spürte, und seine letzten Verfügungen träfe, sondern wir werden als Erben angesprochen, weil er uns seinen Besitz schon zu Lebzeiten übertragen hat:-

Wir sind Miterben dieser Welt, alle Menschen hat er zu Erben berufen, und wer sich diese Deutung gefallen lässt, der wird merken, wo er an Gottes Besitz beteiligt ist: Jeder Atemzug, jedes Stück dieser Erde, jedes Eckchen Zeit ist ein Anteil am Erbe Gottes.

Gott hat seinen Besitz den Menschen übertragen, sie sind seine Erben, gerade weil er lebt und durch sein Wort immer weiter regiert.

Sein Hab und Gut bei Lebzeiten den Erben zu übertragen ist eine riskante Entscheidung. Wer weiß, was die Erben daraus machen werden? Werden sie das Erbe schon an sich reißen und verspielen, während Vater oder Mutter noch leben?

Es ist eine sehr mutige Entscheidung Gottes, uns das Erbe schon jetzt anzuvertrauen.

Von Gott, als Kinder Gottes, erhalten die Menschen ihre Freiheit, aber sie werden nicht in die Heimatlosigkeit entlassen, sondern am gemeinsamen Besitz beteiligt und als Besitzer sind sie zugleich berechtigt und verpflichtet: Zum Nießbrauch des Erbes berechtigt und zur Pflege verpflichtet, denn niemand ist Alleinerbe.

Jesus ist auf die Welt gekommen, um Gottes Reich unter uns Menschen aufzurichten. Gott überlässt die Welt nicht sich selbst, sondern übergibt sie an uns. Wo Menschen unter Krieg leiden, wo sie auf der Flucht sind, wo Unfrieden regiert, wo Hunger herrscht, wo Streit ist – da sind wir nun als Gottes Erben, als seine Kinder, aufgerufen, uns um unsere Welt, um unser Erbe zu kümmern.

Jeder mag hier für sich einsetzen, was für ihn dieses Erbe bedeutet – denn darum geht es in der Weihnachtsgeschichte. Wir dürfen und wir können die Weihnachtsgeschichte für uns heute übersetzen. Weihnachten ist nicht damals vor über 2000 Jahren passiert, geschehen und vorbei, sondern die Weihnachtsgeschichte reicht bis in unsere Gegenwart hinein.

Weil wir von Gott alles geschenkt bekommen haben, geben wir dieses Geschenk weiter. Das ist die frohe Botschaft von Weihnachten.

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