Predigt über Röm 8,14–17 in der Luttherkirche in Speldorf am 14. Sonntag nach Trinitatis (1.9.2024)

Liebe Gemeinde,

Einleitung des Predigttextes

Der für heute vorgeschlagene Predigttext steht im 8. Kapitel des Römerbriefes, die Verse 14-17:

14 Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. 15 Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! 16 Der Geist selbst gibt Zeugnis unserem Geist, dass wir Gottes Kinder sind. 17 Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.

Herausforderungen der Kommunikation des Glaubens

In unserer heutigen Zeit begegnen wir immer häufiger der Tatsache, dass kirchliche Begriffe und biblische Traditionen an Verständnis verlieren. Zurzeit arbeiten wir im Landeskirchenamt in der Stabsstelle Kommunikation und Medien an einer neuen Website. Dabei merken wir, dass die meisten Menschen auch elementare kirchliche Begriffe nicht mehr kennen. Man kann kein Basiswissen über den christlichen Glauben voraussetzen, sondern muss vieles erklären. Deshalb haben wir analysiert, was auf Google gesucht wird. Denn hinter jeder Google-Suche steht eine Frage und wir wollten wissen: was suchen Menschen heute.

Die Bedeutung von Glaubensbegriffen

Diese Anfragen sind sehr aufschlussreich: Eine häufige Suchanfrage betrifft die Zwölf Apostel – jedoch oft in Verbindung mit einer Restaurant-Suche und nicht als Wissensabfrage zu den zwölf Jüngern Jesu. (:-(

Bei Begriffen wie “Konfirmation,” “Taufe”, und “Gottesdienst” wird häufig nach dem Ablauf gesucht. Die Menschen wollen wissen, wie eine Taufe oder ein evangelischer Gottesdienst funktioniert und wie lange er gewöhnlich dauert.

Vor diesem Hintergrund haben wir uns ein Ziel gesetzt: Wir möchten Antworten auf die tatsächlichen Fragen der Menschen geben. Nicht das, was wir für wichtig halten, sondern das, was die Menschen bewegt. Deshalb schreiben wir nur Artikel, wenn es zu diesem Thema genügend Suchanfragen auf Google gibt.

Fragen über Jesus und die Bedeutung des Opfertods

Natürlich gibt es auch ganz grundlegende Fragen zu Jesus. Hier Fundstücke aus dem Internet: Traditionell wird der Tod von Jesus Christus als notwendig für die Vergebung der Sünden betrachtet. Durch seinen Tod am Kreuz nahm Jesus Christus die Sünden der Welt auf sich und ermöglichte so die Versöhnung zwischen Gott und den Menschen. Jesu Kreuzigung gilt deshalb als zentrales Ereignis im Christentum. Sie symbolisiert den Opfertod Jesu für die Sünden der Menschheit und die Erfüllung biblischer Prophezeiungen.

Jesus, Kreuzigung, Sünde, Opfertod, Auferstehung, Versöhnung – das ist ein Umfeld von Begriffen, die wir in der Bibel und auch bei Google finden.

Bei Google nicht so sehr, aber in der Bibel finden sich auch andere Sprachbilder, was Jesus für uns Menschen bedeutet und wer er für uns ist.

Ein solches anderes Bild entwickelt Paulus hier im Römerbrief:

Paulus’ Bild von Erben und Knechten

Lassen Sie uns den Predigttext genauer ansehen. Paulus verwendet juristische Begriffe seiner Zeit, um uns etwas zu verdeutlichen. In der damaligen Zeit gab es starke juristische Unterschiede zwischen „Kindern“ und „Knechten“, wie Luther den aus der Antike stammenden Begriff Haussklaven übersetzt. Im Haushalt wohnten Menschen in einer Großfamilie zusammen. Der Hausherr, der pater familias war die zentrale Autorität und hatte uneingeschränkte Macht über alle Familienmitglieder, einschließlich der Kinder und Haussklaven. Während sie noch klein waren, standen die Kinder unter seiner Kontrolle. In ihrem Alltag waren die Kinder jedoch auch den Haussklaven untergeordnet, die für deren Betreuung und Erziehung zuständig waren. Die Sklaven erfüllten Aufgaben wie die Beaufsichtigung und Unterstützung der Kinder.

Die Gegenüberstellung von Kindern und Knechten

Die Sklaven waren Eigentum des pater familias und unterstanden seiner direkten Kontrolle. Sie erfüllten verschiedene Aufgaben im Haushalt und hatten keine eigenen Rechte. Ihr Leben und ihre Arbeit waren vollständig vom Willen des pater familias bestimmt. Anders die Kinder: Nach dem Ende der Kindheit, sobald die Kinder in das Erwachsenenalter eintraten, änderte sich ihr Verhältnis zum pater familias erheblich. Mit dem Erreichen des Erwachsenenalters erhielten die Kinder verschiedene Rechte, einschließlich Vermögens- und Erbansprüchen. Es gab also erhebliche Unterschiede zwischen den erbberechtigten Kindern und den Haussklaven.

Paulus stellt hier die beiden gegenüber:

14 Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. 15 Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! 16 Der Geist selbst gibt Zeugnis unserem Geist, dass wir Gottes Kinder sind. 17 Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.

Übertragung der juristischen Begriffe in die heutige Zeit

Ein Versuch, dies in unsere Zeit zu übertragen: Stellen Sie sich vor, Sie erhalten den Brief eines Notars. Sie grübeln darüber nach, worum es sich handeln könnte. Eine Testamentseröffnung vielleicht. Aber Ihnen ist nicht bekannt, dass ein Verwandter gestorben ist. Sie könnten eine kleine Finanzspritze durchaus gebrauchen. In mancher Hinsicht haben Sie Fehler gemacht. Schulden haben sich angehäuft. Zum angegebenen Termin finden Sie sich bei der angegebenen Adresse ein, und der Notar macht Ihnen folgende Eröffnung: Schon vor Jahren, genaugenommen bald nach der Geburt, seien Sie von seinem Mandanten an Kindes Statt angenommen. Er habe Sie damals mit Einverständnis Ihrer Eltern adoptiert, ohne dass dadurch die Rechte und Pflichten Ihrer Eltern berührt gewesen seien. Bisher habe er sich im Hintergrund gehalten, aber Ihren Werdegang aufmerksam verfolgt und – wo es angebracht erschien – seine Hand über Sie gehalten. Er wolle Sie nun wissen lassen, dass Sie über Ihr Erbe verfügen können, obwohl er sich bester Gesundheit erfreue. Sie könnten jederzeit kleinere oder größere Beträge abheben. Sie können frei über das Vermögen verfügen. Er traue Ihnen zu, dass Sie die Mittel zweckmäßig und sinnvoll einsetzen würden.

Das, was uns Gott zukommen lässt, sollen wir zweckmäßig und sinnvoll einsetzen. Das sollen wir, und das traut Gott uns zu, weil wir seine Kinder sind, die seinen Geist empfangen haben.

Paulus sagt weiter:

17 Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi.

Die Bedeutung von Erben Gottes

Das bedeutet, wir sind Erben Gottes und Miterben Christi. Gott hat uns ein Vermögen, Freiheit und Ressourcen gegeben, über die wir verfügen können.

Wir sind Erbberechtigte, erwachsene Kinder, keine Knechte und Sklaven. Sklaven haben kein Vermögen, über das sie frei verfügen können, sondern sie unterliegen einer strengen Kontrolle und müssen engen Regeln folgen.

Paulus sagt dazu in Galater 5,1:

Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen!

Religion als Regelwerk vs. die Freiheit des Glaubens

Es ist schon recht lange her, als ich noch in der Berufsschule unterrichtete. Aber ich erinnere mich, wie Vertreter der Industrie- und Handelskammer die Schule besuchten. Im Kollegium wurden die Lehrer*innen vorgestellt. Ich wurde als Berufsschulpfarrer begrüßt: „Ja, Werte sind wichtig, die brauchen wir im Betrieb“, sagten sie sofort. Religion wurde von diesen Vertretern als ein System von Regeln verstanden, das durch Gebote Werte in der Gesellschaft aufrechterhält. Religion erfüllt so die Funktion eines Regelwerkes, damit Menschen und die Gesellschaft funktionieren.

Ein weiteres Beispiel: Eine Frau, glücklich verheiratet, mit zwei Kindern und einem eigenen Haus im Vorort einer Großstadt, hat in einer persönlichen Krise zur Kirche gefunden und engagiert sich in den verschiedenen Gruppen und Kreisen der Gemeinde. Alles war da, was man nach normalen Umständen für ein glückliches Leben braucht. Als ich später einmal nach ihr fragte, erzählte man mir, die evangelische Kirche wäre ihr zu lasch gewesen, sie wäre deshalb aus der evangelischen Kirche ausgetreten und zu Jehovas Zeugen gegangen. Denn dort gebe es noch feste Regeln, und Jehovas Zeugen würden noch sagen, was Sünde ist. Was die Frau suchte, war ein enges Regelwerk, nicht die Freiheit, die der Geist Gottes schenkt.

Der Unterschied zwischen Treiben und Führen durch den Geist

Gottes Geist treibt uns. So übersetzt Luther. Doch was bedeutet das? Es macht einen Unterschied, ob man von der Geistkraft getrieben oder geführt wird. Sprachlich hängt das davon ab, wie das Verb ἄγω [ago] übersetzt wird: als treiben oder führen.

Die Freiheit des Kindes

Es stellt sich die Frage, ob die Übersetzung “treiben” nicht dazu führt, dass die menschliche Freiheit übergangen oder gar ausgehebelt wird. Dagegen scheint die zweite Variante dem Menschen angemessener zu sein. „Führen“ bedeutet, dass das Wirken des Geistes das menschliche Handeln nicht ausschaltet. Vielmehr geht es um die Kraft des Geistes, die das Handeln der Christ bestimmen soll. Wir alle kennen Situationen, in denen sich ein Gedanke, ein Gefühl oder ein Impuls in uns regt, dem wir folgen.

Es gibt jedoch auch Situationen, in denen Menschen von der Geistkraft regelrecht überfallen werden. Es ist eine Kraft, die belebt, treibt und voller Leben ist, die uns erfasst.

Wie diese beiden Erfahrungen andeuten, so gilt es, die Spannung zwischen Treiben und Führen zu keiner Seite aufzulösen, sondern beides als Ergänzung der jeweils anderen Erfahrung zu sehen.

Die Freiheit jenseits von Heteronomie und Autonomie

Während die Knechte fremdbestimmt sind und der pater familias völlige Freiheit hat und autonom bestimmen kann, sieht Paulus einen dritten Status jenseits von Heteronomie und Autonomie für uns: die Freiheit des Kindes. Es wird also nicht einfach Fremdbestimmung durch Selbstgesetzgebung ersetzt, sondern in der Kindschaft soll Freiheit neu erfahren werden. So ist für Paulus zentral, dass der Geist der Kindschaft kein Geist der Furcht ist. Es wird nicht eine Schreckensherrschaft durch eine andere ersetzt, wobei sich nur der Name des Herrschenden ändert und sonst nichts. So soll die Befreiung gerade nicht erneut in Herrschaft und Knechtschaft umschlagen, sondern ein Leben begründen, das nicht von Furcht geprägt ist. Der Geist der Kindschaft – die Freiheit des Kindes – stellt also die Antithese zum Geist der Knechtschaft dar. Und wenn sich die eine Seite durch φόβος (phobos) – Furcht, Sorge, Beklemmung – kennzeichnet, so ist die Freiheit der Kindschaft geprägt durch Mut, Freude und Gelassenheit.

Gott als Abba – Vertrauen in der Freiheit

Paulus spricht von Gott als Vater und nennt ihn Abba. Anders als in der römischen Familienhierarchie ist Gott kein pater familias und kein autoritärer Patriarch. Abba ist ein Wort kindlichen Zutrauens, eine Art Kosenamen, mit dem man das himmlische Du anreden darf. Die Metaphern, die Paulus in diesen Versen für das Leben im Geist gebraucht, beziehen sich auf das Verhältnis von Kindern zu ihren Eltern. Diese Bilder mögen uns womöglich fremd oder gar problematisch erscheinen, da manche Kinder auch unter ihren Eltern leiden. Vielleicht ist es gerade dann wichtig, sich vor Augen zu halten, dass die Gotteskindschaft, die durch Mut, Freude und Gelassenheit geprägt ist, in Gott als Abba das Gegenüber findet, das dieses Leben ermöglicht.

Verantwortung und Freiheit im Glauben

Im Vertrauen auf Gottes Kraft dürfen wir unseren Weg in der Welt und für die Welt gehen. Wir dürfen Verantwortung tragen und Entscheidungen treffen – mit Gottes Zuspruch im Rücken. Wie erwachsene Kinder, die von ihren Eltern in Entscheidungen miteinbezogen werden und Verantwortung tragen, dürfen wir in unserer Welt handeln und Gottes Willen und Gottes Zukunft zur Sprache bringen. Das ist eine laute Stimme gegen das Gefühl der Angst und der Ohnmacht. So dürfen wir schon jetzt unser Erbe antreten und Gottes Reichtum in der Welt verteilen.

Die Freiheit in Christus

„Nicht den Geist von Knechten habt ihr empfangen.” Die Freiheit, die Jesus Christus mit seinem Tod am Kreuz errungen hat, schenkt Gott durch seinen Geist. Freiheit – ein großes Wort.

Eingangs erwähnte ich die Sprachbilder, die aussagen, was Jesu Tod und Auferstehung bedeuten. In unserem Predigttext bietet uns Paulus diese Worte an: Mit-Erben, Mit-Leiden, Mit-Verherrlicht werden. Durch Jesus sind wir Kinder Gottes, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, da wir mit ihm leiden, damit wir auch mit ihm verherrlicht werden.

Zusammenfassung des Evangeliums

Gott ist unser Vater, der uns die Freiheit schenkt – auch so lässt sich das Evangelium zusammenfassen. Diese uns geschenkte Freiheit macht ein Ende mit jeder Form von Abhängigkeit und Zwang. Und das bedeutet auch ein Ende meiner Abhängigkeit von mir selbst, von meiner Selbstherrlichkeit, von meinem Egoismus, von meinem oft zu kleinen Glauben. Eine Freiheit, die nicht auf Kosten anderer gewonnen wird, weil sie Verantwortung ein- und nicht ausschließt.

Erinnern Sie sich an die Frau aus dem Beispiel. Sie wollte einfache Regeln, anstatt ein Leben in Freiheit. Freiheit bei Paulus bedeutet aber eben nicht, sich treiben zu lassen, als wäre alles irgendwie okay, sondern ein selbstgestaltetes Leben in Verantwortung. Das ist das Ziel: Eine Freiheit, die souverän die Mitte findet zwischen Selbstherrlichkeit und Abhängigkeit. Weder darf ich mich einfach nur Geboten unterordnen und blind gehorchen, noch darf ich mich selbst zum Maß aller Dinge machen – dies ist die Freiheit der Kinder Gottes. Versprochen und erworben durch den Sohn Jesus Christus und mir täglich neu geschenkt durch den Heiligen Geist, habe ich die Freiheit, zu Gott “Vater” zu sagen.

Amen.

Verwendete Literatur:

14. So. n. Trinitatis Röm 8,14–17. Über den Geist und die Freiheit der Kinder Gottes

Frei Andreas, Göttinger Predigtmeditationen 2024 78:3, 408-413

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