Im Urlaub andere Länder zu besuchen, gibt die Chance, Neues zu entdecken und auf vermeintlich Bekanntes andere Perspektiven zu gewinnen. Diesen Sommer hatte ich die Möglichkeit, länger in Mexiko zu sein.
Ein Pfeifen auf der Straße in einem Vorort von Mexiko-Stadt. Der Scherenschleifer steht vor der Tür. Seit 46 Jahren, so erzählt er, macht er in diesem Vorort die Runde auf seinem von ihm selbst umgebauten Fahrrad und zeiht von Haus zu Haus. Scharf geschliffen gibt er den Kundinnen und Kunden ihre Messer und Scheren zurück.
Auf mich wirkt er wie jemand aus einer anderen, sonst längst vergangenen Zeit. Ich frage ihn, ob ich ein Foto von ihm machen darf. In Mexiko gibt es diesen Beruf noch, aber wie lange noch? Messer und Scheren aufzuarbeiten statt neue zu kaufen, ist sicher nachhaltig, aber hat der Beruf des Scherenschleifers wirtschaftlich noch eine Zukunft? In Deutschland ist er längst ausgestorben. Aber: wäre es nicht gut, wenn wir diesen Beruf noch hätten? Digitalisierung verändert die Berufswelt, aber ich frage mich, ob diese Veränderungen nur nach Wirtschaftlichkeit erfolgen dürfen? Sollten bestimmte Berufe vielleicht subventioniert werden, weil sie der Gesellschaft gut tun, indem sie beispielsweise Nachhaltigkeit fördern? Der Scherenschleifer bringt mich jedenfalls zum Nachdenken.
Digitalisierung schrittweise
Neben einem Scharzen Brett in einem Bürgermeisteramt in einer Kleinstadt steht ein Geburtsurkundendrucker. Als ich dieses Gerät sehe, frage ich nach, ob ich richtig verstehe, was dieses Gerät kann. Man gibt in diesen Automaten seine Personenkennziffer CURP (Clave Única de Registro de Población) ein und erhält eine ausgedruckte Geburtsurkunde. Das geht nicht nur über den Automaten in der Stadtverwaltung, sondern auch online. Ich denke direkt an die Missbrauchsmöglichkeiten, wenn man die CURP anderer Personen kennt und sich so deren Geburtsurkunden verschaffen kann, Einheimische dagegen versichern mir, welche Erleichterung der Automat bedeutet, da man nun nicht mehr in der Stadtverwaltung anstehen müsse.
Natürlich ist ein digital generierter Ausdruck einer Geburtsurkunde nur ein Zwischenschritt zu einer digitalen Verwaltung, aber mir erscheint es durchaus sinnvoll, nicht immer alles voll digital zu wollen und aufgrund der Komplexität dann erstmal nichts zu haben. In Mexiko erhält man wenigstens online seine Geburtsurkunde, während wir in Deutschland viel über E-Government reden, aber noch wenig Dienstleistungen digital von der Verwaltung abrufen können.
Uberall anders
In Mexiko habe ich das erste Mal Uber ausprobiert. Im Leben der Mittelkasse ist dieser Dienst fest verankert. Als Kunde rufe ich ein Auto, das innerhalb kürzester Zeit kommt. Bezahlen kann ich online oder bar. Es ist billiger als ein Taxi, auch wenn die Preise etwas nach Tageszeit schwanken. Hat es gerade einen großen Regenschauer in Mexiko-Stadt gegeben, steigen die Uber-Preise etwas an, da nun eine höhere Nachfrage besteht. Fahrer können sich bereits vor Ankunft am Zielort aussuchen, welche Fahrt sie als nächstes übernehmen, so vermeiden sie Leerzeiten, die Taxis sonst haben. Zumindest in Mexiko-Stadt – so mein Eindruck – scheint es ein gutes Verhältnis von Angebot und Nachfrage zu geben.
Ich war (und bin in Bezug auf Deutschland) gegenüber Uber sehr kritisch eingestellt. Gegenüber Taxis gelten Uber-Fahrten in Mexiko als sicher. Es lässt sich nachvollziehen, wer einen fährt, außerdem weiß Uber – und wen man es sonst über die App noch wissen lassen will – jederzeit den eigenen Standort. Die Gefahr einer Entführung verringert sich so.
Mit mehreren Fahrern habe ich mich unterhalten. Einige stammten aus einem Büro-Job und haben zusätzlich für Uber gefahren, bis sie ihren Zweitjob zum Hauptjob machten und nur noch als Uber-Fahrer unterwegs sind. Zumindest im mexikanischen Lohngefälle ist Uber oberhalb vieler Büro-Jobs angesiedelt. Wer kein eigenes Aut hat, mietet sich eins und fährt damit.
Ich habe gelernt, Urteile über Plattformen lassen sich nicht weltweit treffen, sondern man muss die Eigenarten des jeweiligen Landes einbeziehen.
Digitalisierung geschieht weltweit, aber in jedem Land stellen sich andere ethische Fragen – und auch die Antworten sind nicht auf andere Länder übertragbar. Dies nehme ich jedenfalls aus dem Urlaub mit zurück nach Hause.
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