Das zweite Weihnachten unter Corona-Bedingungen.
Nach Weihnachten kommen die Kontaktbeschränkungen – gerade noch Weihnachten feiern, bevor der Virus uns wieder in Griff bekommt?
Gelingt es uns, Weihnachten in eine andere Welt abzutauchen? Und wenn ja – für wie lange?
Ich spreche mit Freund:innen einer unserer Töchter darüber, dass ich zu Weihnachten wieder predigen werde. Eine fragt: Sagst Du jedes Jahr dasselbe? Ich erkläre, dass ich mit der Predigt versuche, den Text für unsere Gegenwart zu deuten und aktuelle Bezüge herzustellen. Aber bitte keine Corona-Predigt, denn von Corona haben wir sonst schon genug, das wollen wir nicht auch noch an Weihnachten – das ist die nächste Reaktion.
Für diesen Wunsch, Weihnachten in eine andere Welt einzutauchen, gibt es im Deutschen ein Wort, auf das ich zufällig in einem Übersetzungsforum gestoßen bin: Weihnachtssehnsucht. In anderen Sprachen muss man diesen Begriff umschreiben. Aber wir alle verstehen in diesem Jahr besonders gut, was mit Weihnachtssehnsucht gemeint ist.
Weihnachten – das ist eine besondere Zeit. Mit vielen kleinen Traditionen. Unsere Kinder, auch wenn sie eigentlich schon zu groß sind, erwarten einen Adventskalender. Krippenfiguren, die über Jahre gesammelt wurden, werden aufgestellt. So hat jede Familie kleine Rituale, wie sie die Advents- und Weihnachtszeit feiert. Der Besuch auf dem Weihnachtsmarkt, die Weihnachtsfeier mit den Kolleginnen und Kollegen. Vieles ging dieses Jahr nicht, oder nur eingeschränkt. Und wenn es doch, so blieb dann oft ein Unbehagen dabei – wie bei einem Besuch auf dem vollen Weihnachtsmarkt.
Für mich gehört zu den Traditionen auch der Gottesdienst am ersten Weihnachtstag dazu. So bin ich froh, dass wir dieses Jahr wieder gemeinsam hier Gottesdienst feiern können – wenn auch mit Maske – und in kleinerer Runde.
Der Wunsch, Weihnachten so zu erleben, wie früher, ist groß. Ohne Einschränkungen und mit allen Traditionen, die zu diesem Fest dazugehören. Weihnachtssehnsucht – dazu gehören auch Weihnachtslieder. Für viele gehört auch der Kirchgang zum Fest. Statt wie in den Vorjahren in einer vollbesetzten Lutherkirche am Heiligabend, dieses Mal nur maximal 120 Personen je Gottesdienst. Da mussten einige zu Hause bleiben, auch wenn Weihnachten vielleicht der einzige Kirchgang im Jahr gewesen wäre. Und für viele fühlt sich der Kirchgang auch nicht gut an. Sie meiden Veranstaltungen, wo man auf unbekannte Menschen trifft, und bleiben deshalb zu Hause.
Gerade in der Pandemie versuchen wir, Weihnachten so gut es geht zu feiern. Statt einer Weihnachtsfeier in einem Restaurant – ein gemeinsames Kochen über Zoom als Videokonferenz. Man isst gemeinsam, wenn auch jeder vor seinem Bildschirm. Vermutlich habe ich meine Familie genug genervt mit meiner Weihnachtsplaylist auf Spotify, da Konzertbesuche ausgefallen sind.
Aber wenn wir unsere Weihnachtssehnsüchte dieses Jahr nur mit Einschränkung erfüllen können, so stellt sich die Frage nach dem Sinn von Weihnachten deutlicher. Was ist die Botschaft von Weihnachten? Was kann uns die alte Weihnachtsgeschichte für den Alltag heute mitgeben? Mit diesen Fragen lese ich die mir gut vertraute Weihnachtsgeschichte im Lukasevangelium erneut.
Weihnachten: das Fest der Liebe und des Friedens – aber unsere Welt sieht anders aus. Wenig von Friede auf Erden. Unsere Gesellschaft erlebe ich als gespalten, manchmal geht der Riss mitten durch Familie und Freundschaften.
Wir feiern seit rund 2000 Jahren die Geburt Christi. Was hat sich verändert?
Was finden wir in der Weihnachtsgeschichte, das unsere Lage heute beleuchtet? Spricht diese alte Geschichte heute zu uns persönlich? Zu uns in unserer Gesellschaft?
Hat das Weihnachtsgeschehen damals überhaupt etwas für heute verändert?
Ja und auch nein!
Wir zählen unsere Zeit in vor bzw. nach Christi Geburt – so gesehen war Jesu Geburt eine Zeitenwende. Auf der anderen Seite: Wann genau Christi Geburt war wissen wir nicht. Es gibt kein Jahr Null. Die Welt ist zumindest sichtbar keine andere geworden durch Jesu Geburt. Keine außerchristliche Quelle berichtet sie. Und dennoch: Als Christinnen und Christen glauben wir, dass sich mit Jesu Geburt etwas Entscheidendes geändert hat, aber es ist noch nicht sichtbar.
Hören wir noch einmal in die Weihnachtsgeschichte hinein. Vielen von uns mag sie vielleicht so vertraut sein, dass wir vor lauter Vertrautheit mit dem Text manches auch überhören.
Im Lukasevangelium beginnt sie so:
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt.
Als Lukas sein Evangelium und die Apostelgeschichte schreibt, bemüht er sich, die Geschichte von Jesus einzuordnen. In Rom, dem Machtzentrum der antiken Welt beginnt er mit einem Edikt des Kaisers August. Dies hat zur Folge, dass Josef und Maria sich zur Volkszählung in Josefs Heimatsort aufmachen und sich auf die Reise von Nazareth nach Bethlehem begeben. Bethlehem ist auch Geburtsstadt des Königs David. So verknüpft Lukas die damalige Weltpolitik mit Jesu Geburt. In Rom der Kaiser aber Jesus – das Kind in der Krippe, ist eigentlich ein Königssohn. Dazu passt auch die Erzählung im Matthäusevangelium von den drei Magoi – Magiern – die in der Tradition zu den drei Heiligen Königen werden, wie sie Jesus, dem König, ihre Reverenz erweisen. Die Geschichte von Jesus, wie Lukas sie weitererzählt, führt dann weiter nach Jerusalem, dem Ort von Jesu Kreuzigung und Auferstehung. Damit endet das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte des Lukas führt weiter aus, wie das Evangelium von Jerusalem über Athen, dem Zentrum der damaligen gelehrten Welt nach Rom ankommt – dort, wo der Tradition nach die Apostel Paulus und Petrus starben.
So wie Lukas sein Evangelium erzählt, bettet er es in die Weltgeschichte ein. Es reicht von einem unbedeutendem Ort in der judäischen Provinz (Bethlehem) bis ins Machtzentrum der damaligen Weltmacht (Rom). Das ist natürlich eine theologische Deutung der Geburt Jesu – und keine historische Darstellung. Es ist die theologische Behauptung, dass sich mit Jesu Geburt die Weltgeschichte verändert hat, auch wenn dies so noch nicht sichtbar ist.
So wie das Lukasevangelium die Geschichte deutet, so verhält es sich auch mit Jesu Geburt. Gott wird Mensch – und das als Kind in einer Krippe, weil seine Eltern keine andere Herberge hatten als einen Stall. Der allmächtige Gott wird Mensch – ganz ohne Macht – ohnmächtig als Kind. Gott ist einer von uns – er ist mit uns und lebt unser Leben. Gott schwebt nicht über den Tiefen des menschlichen Lebens, sondern erlebt sie und wird so einer von uns. Das ist die Botschaft von Weihnachten, das ist die Heilsgeschichte, die im Stall von Bethlehem beginnt – aber bis nach Rom, also in alle Welt ausstrahlt. Unscheinbar, aber sie verändert die Geschichte der Welt. So Lukas im Evangelium.
Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.
Das Kind in der Krippe ist der Heiland. So überhaupt Martin Luther das griechische Wort Σωτήρ. Retter, Erlöser. Sonst ein Ehrentitel der Kaiser. Nicht der als göttlich verehrte Kaiser hat die Macht, sondern das ohnmächtige Kind in der Krippe. Nicht ein Mensch – wie der Kaiser – steigt zu Gott auf, wird göttlich, sondern Gott steigt zu uns herab. So kommt Gott in diese Welt. Gott wird Mensch, einer von uns. Geboren in ärmlichen Verhältnissen, gar nicht hoheitlich, wie man es sich hätte vorstellen können. Gott ist anders bei uns, als wir es denken. Er durchlebt unser Menschsein ganz und gar – und mit allen Tiefen.
Auf unsere Pandemie-Situation hin können wie vielleicht sogar sagen: Gott hebt die Krise nicht auf, sondern ist in der Krise bei uns.
Können wir so Weihnachten feiern? Können wir das glauben?
Trägt der Glaube daran durch das Leben?
Das kann jeder nur für sich selber beantworten. Ich wünsche mir immer wieder, dass mich solch ein Glaube durch Krisen trägt: Dass Gott da ist, auch wenn es anders scheint.
Im Sommer waren viele Regionen unserer Landeskirche von einem Jahrhunderthochwasser betroffen. In dieser Hochwasserkatastrophe starben 184 Menschen in Deutschland, unzählige Menschen mehr verloren ihre Häuser und Wohnungen. Brücken und Straßen wurden zerstört.
Die Menschen im Schleidener Tal waren von dem Unwetter ebenfalls enorm getroffen. Die Situation ist entsetzlich“, so berichtet ein Presbyter der Kirchengemeinde im Schleidener Tal. Neben Fotos von den Aufräumarbeiten schickte er uns im Landeskirchenamt auch ein Bild eines verschlammten Kruzifixes, das jemand auf einen Tisch vor der Kirche abgelegt hatte. „Ein anderer wischte spontan den Dreck runter, und so lag der Christus dann da, in all dem Chaos, im Schlamm. ,Christus im Schlamm‘ dachte ich mir und wurde sehr still“, so der Presbyter. „Dann griff ich zu meinem Handy, machte das Bild und verlor das Kruzifix aus den Augen. Ich weiß nicht, wo es vorher war, und nicht, wohin es getragen wurde. Aber ich wollte das Foto weitergeben, verbunden mit der tröstenden Botschaft an alle Menschen, die in diesen Tagen so viel ertragen müssen.“
Gott ist im Schlamm selbst mit dabei, so deutet Hans-Joachim Jürgens das Foto vom verschlammten Kruzifix. Für ihn ist das ein Zeichen der Hoffnung. Gott schwebt nicht über den Fluten des Hochwasser, sondern ist inmitten der Katastrophe dabei. Deshalb ist dieses Bild von Christus im Schlamm ein Hoffnungsbild.
Das Kruzifix im Schlamm während des Jahrhunderthochwassers im Sommer oder das Kind in der Krippe zu Weihnachten – beides zeigt: Gott ist Mensch geworden. – Das ist der Grund, warum wir Weihnachten feiern.
Weihnachten feiern in den Hochwassergebieten ist schwer, wenn Haus oder Wohnung zerstört sind. Außerdem fehlen dann auch Weihnachtsschmuck und Weihnachtsdeko. Anstatt den Flutgeschädigten Geld für Weihnachtsschmuck zu geben, hat eine Pfarrerin eine Sammlung gestartet. Menschen konnten ihren gebrauchten Weihnachtsschmuck spenden. Anders als bei neuer Deko hat nämlich der gebrauchte Schmuck eine Geschichte. So wird nicht nur der Schmuck gespendet, sondern auch die Tradition und die Geschichte, für die er steht. Den eigenen Weihnachtsschmuck zu teilen, bedeutet auch, anderen Menschen die damit verbundene Geschichte zu schenken. So wird über den geteilten Weihnachtsschmuck auch die mit Weihnachten verbundenen Traditionen und Geschichten geteilt.
Eingangs sprach ich von der Weihnachtssehnsucht. Diese wird gefüllt durch die verschiedenen Weihnachtsgeschichten und Weihnachtstraditionen. Vieles ist in diesem Jahr anders als sonst. Aber was auch wir auch in diesem Jahr tun können: Unseren Weihnachtsschmuck teilen. Ich kann jemand eine Christbaumkugel als Zeichen der Hoffnung verschenken. Man kann das auch übertragen machen: Die Weihnachtsgeschichten und Traditionen, die mir Hoffnung geben, mit anderen teilen. So breitet sich die Kunde von Weihnachten aus.
Da die Hirten es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.
Zum Ende möchte ich eine Weihnachtstradition mit Ihnen teilen. Am Heiligenabend lesen wir die Weihnachtsgeschichte in den alten Worten von Martin Luther. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie rund 500 Jahre altes Deutsch uns immer noch vertraut ist:
Es begab sich aber zu der zeytt, das eyn gepott von dem keyser Augustus aus gieng, das alle wellt geschetzt wurde, 2 vnd dise schetzung war die aller erste, vnd geschach zur zeytt, da Kyrenios landpfleger yn Sirien war, 3 vnnd es gieng yderman das er sich schetzen lies, eyn iglicher ynn seyne stadt. 4 Da macht sich auff, auch Joseph von Gallilea, aus der stadt Nazareth, ynn das Judisch land, zur stad Dauid, die da heyst Bethlehem, darumb das er von dem hauße vnd geschlecht Dauid war, 5 auff das er sich schetzen ließe mit Maria seynem vertraweten weybe, die gieng schwanger. 6 Vnnd es begab sich, ynn dem sie daselbst waren, kam die zeyt das sie geperen sollte, 7 vnnd sie gepar yhren ersten son, vnnd wickelt yhn ynn windel, vnd leget yhn ynn eyn krippen, denn sie hatten sonst keynen raum ynn der herberge. 8 Vnnd es waren hirtten ynn der selben gegend auff dem feld, bey den hurtten, vnnd hutteten des nachts, yhrer herde, 9 vnnd sihe, der engel des herrnn trat zu yhn, vnd die klarheyt des herren leuchtet vmb sie, vnnd sie furchten sich seer, 10 vnnd der Engel sprach zu yhn, furcht euch nicht, Sehet, ich verkundige euch grosse freude, die allem volck widderfaren wirt, 11 denn euch ist heutte der heyland geporn, wilcher ist Christus der herre, ynn der stadt Dauid, 12 vnnd das habt zum zeychen, yhr werdet finden das kind ynn windel gewickellt, vnd ynn eyner krippen ligen, 13 Vnnd als bald war da bey dem engel, die menge der hymlischen heerscharen, die lobeten Gott, vnd sprachen, (wolgefallen) Das die menschen dauon lust vnd lieb haben werden gegen Gott vnd vnter nander, vnd dasselb mitt danck annemen, vnd dar vber alles mitt freuden, lassen vnd leyden 14 Preys sey Gott ynn der hohe, vnd frid auff erden, vnd den menschen eyn wolgefallen. 15 Vnd es begab sich, da die Engel von yhn gen hymel furen, sprachen die hirtten vnternander, last vns nu gehen gen Bethlehem, vnd sehen die geschicht, die da geschehen ist, die vns der herre kund than hat, 16 vnd sie kamen eylend, vnnd funden beyde Marian vnnd Joseph vnd das kind ynn der krippen ligen. 17 Da sie es aber gesehen hatten, breytten sie das wortt aus, wilchs zu yhn von disem kind geredt war, 18 vnnd alle fur die es kam, wunderten sich der rede, die yhn die hirten gesagt hatten, 19 Maria aber behielt alle dise wortt, vnd bewiget sie ynn yhrem hertzen, 20 vnd die hirtten kereten widderumb, preyseten vnnd lobten Gott vmb alles, das sie gehoret vnd gesehen hatten, wie denn zu yhn gesagt war.